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Geschichten aus dem Leben > Mobbing


„Angelika, hast du bitte mal einen Moment Zeit für mich?“
Als meine neue Kollegin Sabine mich bat, ihr bei der Durchsicht der Tabellen zu helfen, seufzte ich innerlich wieder mal tief auf.
„Ja gleich! Zuerst muss ich noch etwas anderes fertig machen.“
Warum konnte diese Frau nicht auch mal alleine klar kommen?
Sabine war vor ein paar Monaten in unsere Firma gekommen, und ich hatte mich zuerst richtig gefreut. Endlich Unterstützung! Meine Kollegin Maria war in Pension gegangen und seither stapelte sich immer mehr Arbeit auf meinem Schreibtisch. Aber statt eine Entlastung zu sein, war Sabine die reinste Landplage! Sie kam frisch von der Ausbildung, war beruflich vollkommen unerfahren und noch dazu ziemlich schüchtern. Tag für Tag fragte sie mir Löcher in den Bauch, ständig klappte irgendetwas nicht und am Ende hatte sie dann auch noch den Nerv, mich um „mehr Unterstützung“ zu bitten! Als ob ich mit meiner eigenen Arbeit nicht schon genug zu tun gehabt hätte!
Aber da es ohnehin nichts half, legte ich schließlich widerwillig den Stift zur Seite und ging hinüber zu ihr.
„Danke, es hat sich erledigt. Ich habe den Fehler inzwischen selbst gefunden.“
Na, wenigstens etwas! Genervt stapfte ich zurück in mein Büro. Zum Glück saßen wir nicht im selben Zimmer, das hätte mir gerade noch gefehlt! Mittlerweile ging es mir sogar schon auf die Nerven, wie die neue Kollegin ihren Tee schlürfte.

„Was ist das denn für ein scheußlicher Geruch?“, hatte ich mir erlaubt, sie letztens zu fragen, als wir uns in der Mittagspause zufällig in der Betriebskantine über den Weg gelaufen waren. Gekränkt hatte sie mich mit ihren blauen Kulleraugen angeschaut.
„Das ist Kräutertee. Kaffee vertrage ich leider nicht.“
Na klar, das wunderte mich nicht. Sabine war offenbar eine Mimose, da passte es gut zu ihr, dass sie so eine stinkende Brühe in sich hineinschüttete.
„Solange das Zeug nicht das neue Bürogetränk wird, soll es mir recht sein.“ Angewidert schüttelte ich mich.
„Keine Sorge!“ Schüchtern schaute sie mich an.
„Wenn du magst, können wir nach der Arbeit mal was trinken gehen. Ich habe meinen Einstand ohnehin noch nicht gefeiert.“
„Nein, lass mal. Das ist bei uns nicht üblich.“ Damit drehte ich mich um und setzte mich an einen Einzeltisch. Zumindest beim Mittagessen wollte ich meine Ruhe haben.

„Und, wie geht’s dir mit der neuen Kollegin?“
Als meine ehemalige Kollegin Maria und ich uns ein paar Wochen später zufällig in der Stadt über den Weg liefen, hatte ich leider nichts Gutes zu berichten.
„Frag lieber nicht! Die ist echt anstrengend!“
Und dann erzählte ich Maria haarklein, dass ich mit Sabine überhaupt nicht zurechtkam. Dabei konnte ich gar nicht sagen, weshalb. Wenn ich ehrlich war, war Sabine von Anfang an recht freundlich gewesen und ich hatte das Gefühl, dass sie sich auch durchaus bemühte, gut mit mir auszukommen. Auch ihre ständige nervige Fragerei hatte mittlerweile aufgehört. Scheinbar war ihre Einarbeitungsphase jetzt endlich vorbei und sie hing nicht mehr dauernd an meiner Kittelfalte. Deshalb hatte ich in letzter Zeit kaum noch mit ihr geredet. Und wenn, war ich kurz angebunden. Manchmal machte ich auch einfach kommentarlos die Verbindungstür zwischen unseren Zimmern zu und war froh, wenn ich meine Ruhe hatte.

„Was stört dich denn an ihr?“ Neugierig schaute Maria mich an.
„Ach, ich weiß auch nicht. Ich glaube, ich kann sie einfach nicht leiden.“
So etwas kam eben vor. Wer konnte schon sagen, warum man sich mit einer bestimmten Person gut verstand und die andere auf den Tod nicht aussehen konnte? Zwischen Sabine und mir stimmte einfach die Chemie nicht. Ich hatte sie von Anfang an als sehr unsicher und verkrampft empfunden. Ganz anders als Maria, mit der ich mich viele Jahre lang wirklich blendend verstanden hatte. Natürlich war das Pech, aber im Grunde nicht weiter tragisch.
„Lass uns lieber über etwas Schöneres reden! Nächste Woche fahre ich auf Urlaub!“ Freudestrahlend schaute ich Maria an. Ich konnte es kaum noch erwarten! Zwei Wochen nur Sonne, Strand und Meer! Die letzten Monate waren anstrengend gewesen und ich war mehr als urlaubsreif!
Wenn ich allerdings gewusst hätte, was mich nach meiner Rückkehr erwarten würde, wäre ich nicht so unbeschwert in den Flieger gestiegen. Denn gleich am Montagmorgen erwartete mich im Büro eine böse Überraschung.

„Angelika, kann ich Sie bitte mal kurz sprechen?“
„Ja klar, was gibt’s denn?“
Abwartend schaute ich meinen Abteilungsleiter an, während er die Tür seines Zimmers hinter uns beiden zumachte. Mit ernster Miene deutete er auf den freien Stuhl vor seinem Schreibtisch.
„Es hat eine Beschwerde über Sie gegeben.“ Und dann erzählte er mir, dass Sabine sich während eines Mitarbeitergespräches über mich beschwert hatte.
„Eigentlich wollte sie zuerst gar nicht mit der Sprache herausrücken. Aber so etwas kann ich natürlich nicht dulden.“
Dulden? Was denn dulden? Fragend schaute ich meinen Vorgesetzten an.
„Frau N. fühlt sich gemobbt.“
Hatte ich gerade richtig gehört? Sabine fühlt sich gemobbt?
„Das ist jetzt ein Scherz, oder?“
„Leider nicht. Wir werden uns etwas überlegen müssen.“

Was ich dann zu hören bekam, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen niemals ausgemalt. Sabine war während meines Urlaubs zu unserem Abteilungsleiter beordert worden. Zum Mitarbeitergespräch, das war in unserer Firma üblich und fand ein Mal pro Jahr statt. Da bekam man dann Feedback über seine Arbeit und auch man selbst konnte wichtige Anliegen zur Sprache bringen. Bei diesem Gespräch war deutlich geworden, dass Sabine sich in der Zusammenarbeit mit mir überhaupt nicht wohl fühlte.

„Frau N. meint, Sie reden kaum mit ihr und wenn, dann wären Sie schnippisch.“
Sabine hatte erzählt, dass ich ihr jede Freude am Job vermiesen würde. Sie fühle sich isoliert und ausgegrenzt und habe mittlerweile schon regelmäßig jeden Sonntagabend Magenschmerzen, wenn sie an die bevor stehende Arbeitswoche denke.
„Das ist doch komplett übertrieben!“ Entsetzt schaute ich meinen Chef an.
„Frau N. hat erzählt, dass Sie regelmäßig die Augen verdrehen, wenn sie versucht, Sie anzusprechen?“
Beschämt senkte ich den Kopf.
„Ja, das stimmt. Das ist mir ein paar Mal passiert.“ Aber musste die dumme Kuh denn gleich so ein Drama draus machen? Leider sah mein Boss das anders. Er erklärte mir, dass er keinen Wert auf unausgesprochene Spannungen im Team läge.
„Frau N. arbeitet hart und sie macht kaum Fehler.“
Trotzdem könne Sabine sich in letzter Zeit kaum noch konzentrieren und denke darüber nach, die Firma zu verlassen.
„Die Atmosphäre zwischen Ihnen beiden ist offenbar unterschwellig konfliktbeladen.“
Sabine fühle sich mir unterlegen, immerhin sei sie die Neue und etliche Jahre jünger. Sie fühle sich schon seit längerer Zeit systematisch direkt und indirekt von mir angegriffen.
„Direkt angegriffen habe ich sie nie!“ Empört versuchte ich, mich zu rechtfertigen.
„Haben Sie Frau N. grundlos kritisiert und wichtige Informationen zurück gehalten?“
„Nein, ganz sicher nicht.“
„Leider liegen mir andere Informationen vor.“

Und dann erzählte er mir, dass Sabine ein Mobbing-Tagebuch geführt habe. Aus ihren Aufzeichnungen gehe zum Beispiel hervor, dass ich ihre Frage, ob ich wisse, wo der Bilanzierungsordner zu finden sei, einfach nur mit „Ja“ beantwortet hatte. Sabine war dann darauf angewiesen gewesen, mich nochmal zu fragen, denn ein bloßes „Ja“ war natürlich keine richtige Antwort.
„Halten Sie das für eine korrekte Form der Einschulung? Oder für einen gelungen Witz?“
Streng schaute mein Chef mich an.
Und was ich dann zu hören bekam, erschreckte mich wirklich.
„Mobbing ist kein Kavaliersdelikt. Und es hat auch nichts damit zu tun, dass jeder ab und zu mal einen schlechten Tag haben kann.“ Aus Sabines Aufzeichnungen gehe klar hervor, dass es sich bei unserer unerfreulichen Zusammenarbeit nicht nur um ein paar Episoden, sondern um einen Dauerzustand gehandelt habe. Aus dem Mobbing-Tagebuch ergebe sich ein regelrechtes Muster. Daraus wären Situationen, in denen ich mit Sabine nicht gerade kollegial umgegangen war, klar und deutlich zu erkennen. Aber es kam noch schlimmer.

„Mir selbst ist Ihr Verhalten auch schon aufgefallen.“
Schon seit einiger Zeit habe er mitbekommen, dass ich mit Sabine ganz anders umging als mit meiner früheren Kollegin Maria.
„Auch wenn Frau N. sich mir nicht anvertraut hätte, wäre ich auf Sie zugekommen.“
Denn schließlich habe er als Führungskraft allen Mitarbeitern gegenüber Fürsorge- und Sorgfaltspflichten.
„Ich kann das, was sich hier abspielt, nicht ignorieren.“
Deshalb habe er bereits über mögliche Konsequenzen nachgedacht und auch schon mit der Geschäftsführung Rücksprache gehalten.
„Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir Sie beide erst einmal trennen.“
Erleichtert atmete ich auf! Sabine würde in eine andere Abteilung versetzt werden! Damit wäre das Problem wohl erledigt.
„Ab sofort arbeiten Sie einen Stock tiefer.“
Wie bitte? Hatte ich gerade richtig gehört? Ich sollte die Abteilung verlassen? Das konnte doch nicht wahr sein! Wie ein begossener Pudel ging ich zurück an meinen Arbeitsplatz. Zum Glück war Sabine gerade nicht da. Das hätte mir noch gefehlt, wenn ich in ihrem Beisein meinen Schreibtisch hätte ausräumen müssen.

Mittlerweile habe ich mich in meinem neuen Team halbwegs eingelebt.
Die Abteilung ist wesentlich größer, früher waren Sabine und ich ja nur zu zweit. Hier bin nun ich die Neue und muss mich bemühen, Anschluss zu finden. Und obwohl ich mich bei verschiedenen Arbeitsrechtsexperten erkundigt habe, konnte ich gegen die betriebsinterne Versetzung nichts machen. Das steht so in meinem Dienstvertrag und finanzielle Einbußen waren mit der Versetzung ja nicht verbunden. Allerdings war das Ganze eine ziemliche Umgewöhnung und natürlich ist mir auch der Ruf vorausgeeilt, eine Kollegin gemobbt zu haben. Klarerweise spricht sich so etwas wie ein Lauffeuer herum. Das hat mir den Start in der neuen Abteilung nicht unbedingt einfacher gemacht.



* Die Personen und die Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig. Spezielle Schreibweisen (Fachbegriffe, Gender-Bezeichnungen usw.) wurden in der von der Autorin übermittelten Form übernommen.

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